
Kapitel 1
Nein, das
kann doch wirklich nicht wahr sein! Es ist Sonntagmorgen und was
mache ich, während jeder normale Teenager schläft, faulenzt oder
sich sonst wie vergnügt, natürlich sitze ich in der Kirche. Aber im
Ernst, wer geht schon heutzutage freiwillig hierhin?! Sicherlich
keiner, dessen war ich mir sicher.
So dachte ich
weiter vor mich hin und bemerkte kaum das Geschehen um mich herum.
Ich wusste zwar, dass der Pastor etwas vor dem Altar erzählte und
das ich es für den nächsten Religionstest vielleicht sogar wissen
sollte , hörte jedoch trotzdem nicht sonderlich hin.Ganz andere
Gedanken füllten meinen Kopf in dem Moment und es war sehr
praktisch, dass ich immer einen Platz im hinteren Teil der Kirche
nahm, wo ich mich an die warme Heizung lehnen und die lästigen
Probleme, wenigstens für die eine Stunde die ich dort verbrachte,
vergessen konnte. So als angehende Erwachsene hat man es nicht
leicht, obwohl die Eltern da bekanntlich oft anderer Meinung sind.
In meiner
Bank saß niemand, außer vielleicht diese seltsame Dame mit dem
schwarzen Hut , der ich allerdings nicht sehr viel Beachtung
schenkte, genauso wenig wie allen anderen.
Und so wäre
ich vor Langeweile fast zu Morpheus in das Reich der Träume
entglitten, als plötzlich das Vibrieren meines Handys mich aus der
Trance riss. “ O Gott,wie kann ich dir nur danken, dass ich dies
mal daran gedacht habe den Ton auszustellen.”, murmelte ich
spöttisch vor mich hin, worauf hin ich auch schon einige wütende
Blicke der Gemeindemitglieder auf mir spürte. Genau das habe ich
schon immer an den Gottesdiensten und dem ganzen kirchlichem Kram so
gehasst, die Leute dort sind ja nicht annähernd so freundlich und
aufgeschlossen , wie sie immer zu sagen pflegen . So “konservativ”
- einfach nur altmodisch und so darauf bedacht dem was vorgetragen
wird zu folgen , dass ich manchmal bei einigen wirklich den Anschein
hatte, dass sie alles menschliche an sich verloren, so wie auch die
Rücksicht auf die normalen unter uns.
Ich stand
einfach auf und ging aus der Kirche , ohne mich umzuschauen oder
etwas zu sagen. Das Handy vibrierte immer noch in meiner Hand , doch
als ich auf das Display schaute , hörte das Vibrieren abrupt auf.
”Was für ein Genie ruft mich denn jetzt schon wieder an? Habe ich
etwa was vergessen?” Als ich mir die Nummer ansehen wollte, stand
da nur ,” Nummer unterdrückt”. Plötzliche unerklärliche Panik
ergriff mich. Etwas war geschehen , das konnte ich spüren und hatte
dabei gar kein gutes Gefühl. Schon als ich ein kleines Mädchen
war, drei oder vier Jahre alt, habe ich es gespürt. Mit Worten war
es kaum zu beschreiben, man könnte sagen es fühlte sich an die
eisiger Wind, der etwas schönes aber auch zugleich etwas was mich an
ganzem Körper erschaudern ließ mit sich trug. Diese tiefe,
durchdringende Kälte erinnerte mich nur allzu deutlich an meine
Großmutter, denn dieselbe Kälte breitete sich in mir so oft aus,
wenn ich in ihre Nähe kam.
Ich rannte
los, ohne auch nur noch einen einzigen Gedanken an den Anruf oder
meine Gefühle zu verschwenden. Die Zeit verging quälend langsam,
beinah glaubte ich mich in Zeitlupe zu bewegen, denn ich kam einfach
nicht schnell genug voran. Die Gewissheit, dass ich zu spät kommen
würde, verstärkte sich mit jeder verstrichenen Minute. Doch zu spät
wofür? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, oh wäre es doch so
geblieben.
Während ich
vollkommen blind und nur auf mein Ziel fixiert durch die
menschenleeren Straßen lief, peitschte mir der eisige Wind ins
ungeschützte Gesicht und die Schneeflocken, die mir in ihrer
Erscheinung immer so perfekt und traumhaft schön vorkamen, ähnelten
nun mehr Tausenden scharfer, mikroskopisch kleiner Messer, welche
meine Haut, wie tollwütige Hunde zerfetzen wollten.
In einem
Moment dachte ich ein feindseliges Wispern um mich zu hören,
Sterben. Sterben wirst du, ganz gewiss, Mädchen. Sie sind ja auch
alle gestorben. Sterben. Sterben...
Die Einbildung verdrängte ich mit aller Kraft und ließ mich
weiter von meinen Beinen tragen und dachte auch weiterhin nicht nach.
Keinen einzigen Gedanken ließ ich zu, nicht einmal um zu verstehen
wohin ich unterwegs war. Umso erstaunter war ich als ich plötzlich
zum Stehen kam und mich vor Großmutters Haus wiederfand.
Mein ganzer
Körper war wie eingefroren, ich konnte mich nicht bewegen, sondern
nur auf das kleine unauffällige Haus vor mit starren, was mir nun
mehr den je unheimlich vorkam. Hier habe ich so viele Tage meiner
Kindheit verbracht,( ach was rede ich da, damals war ich immer noch
mehr ein Kind als Erwachsener) und mit dem ich so viele tiefgehende
Ängste verband.
Meine Eltern
kannte ich nicht. Von meiner Mutter wusste ich zumindest, dass es sie
überhaupt gegeben hat und dass ich wohl ihr „ein uns alles“
gewesen bin, so habe ich es zumindest beigebracht bekommen. Von dem
Mann, der mich gezeugt hat wusste ich jedoch rein gar nichts und er
schien für mich schon immer mehr eine Geistergestalt zu sein als ein
richtiger Mensch mit Gefühlen und dem ganzen drum und dran. Denn was
für eine kranke Natur musste er sein um eine Schönheit wie meine
Mutter mit einem Kind unter dem Herzen zurückzulassen? (Vielleicht
lebte der Mann noch, aber von mir aus hätte er genauso gut tot sein
können, es wäre mir egal, denn er hatte es verdient, dachte ich
zumindest.)
Zwar habe ich
nicht viele Fotos von meiner Mutter zu sehen bekommen, aber sogar an
den wenigen Aufnahmen ließ sich mühelos erkennen, wie atemberaubend
sie war, mit langen kastanienbraunem Haar, himmelblauen Augen und
einem süßen engelsgleichen Lächeln auf den Lippen. Ihr Name war
Savannah. Sie starb mit zwanzig.
Viel mehr
wusste ich nicht von Savannah Black, denn Großmutter sprach nicht
gerne von ihr, und wenn ich nach ihr fragte, schickte sie mich zu
Maggie, meiner lieben aber unglaublich ahnungslosen Tante, die
einfach noch viel zu jung war um sich gegen einem Teenager behaupten
zu können.
Da ich also
keine Eltern vorzuweisen hatte, lebte ich bei Maggie und wurde von
ihr und Großmutter so gut es ging erzogen. Leider hat es noch nie so
recht funktioniert...